Von Bulgarien in die Türkei – wie ein Traum zum Albtraum wird

17.-25. August 2015

Es ist schlimm, sich immer mehr dessen bewusst zu werden, dass der Mensch eine Krankheit ist, welche man nicht heilen kann. Egal wie viele Menschen auf dieser Erde versuchen, die Welt zu einem besseren Platz zu formen, es gibt immer mindestens genauso viele, die alles wieder zu Nichte machen. Aber ich denke, man soll immer weiter kämpfen, auch wenn es sehr wenig Chancen auf Erfolg gibt.
Jetzt geht es los mit der heftigsten Achterbahnfahrt meines Lebens.
Nachdem wir in Tsarevo noch etwas Zeit verbrachten und recherchierten welche sehenswerten Dinge es noch in der Nähe gibt, stoßen wir auf die Kuppelgräber von Sinemorets. Also entschieden wir uns weiter für den Küstenweg und fuhren in dieses Örtchen, welches im Strandzha Nationalpark liegt und sehr schön und ruhig sein soll. Es sollte sich alles anders entwickeln. Der erste Eindruck war sehr schön, die Küstenstraße war wenig befahren, rechts war Wald und links war Meer. Ich schwebte auf Wolke 7, da ich dachte, dass wir endlich aus den touristischen Gebieten draußen sind und wieder in eine schöne Natur eintauchen können. Als wir jedoch Sinemorets am Abend erreichten, stellte es sich als Touristenhochburg heraus. Es wurde langsam dunkel und wir brauchten einen Platz zum schlafen. Die einzige Möglichkeit sahen wir am Strand, doch dort war alles zugepflastert, mit Strandbars, welche laute Musik spielten. Dennoch blieb uns leider keine andere Wahl und wir ließen uns am äußersten Zipfel hinter einer Bar nieder. Die Musik war ohrenbetäubend laut, doch bald sollte uns das nicht mehr interessieren. Eine Horde Wildschweine umzingelte das Zelt, jetzt wurde es sehr schwierig ruhig einzuschlafen. Eine grunzende Mannschaft draußen und eine nervöse Freundin drinnen, dies ist keine gute Kombination um friedlich in einen schönen Traum zu finden 😀 Als ich es dennoch geschafft habe wurde ich von dem Aufschrei eines Schweines geweckt, die Lisa saß kerzengerade neben mir und ich wusste nicht wer wen oder überhaupt erschreckt hat. Nach einiger Zeit wurde es ruhiger und wir konnten endlich den verdienten Schlaf genießen.
Am nächsten Tag wollten wir die Kuppelgräber besichtigen, aber irgendwie hat hier noch nie jemand davon gehört. Im Internet war nur zu lesen, dass es sie gibt, aber nicht, wo sie zu finden sind. Ein Dorfbewohner konnte dann doch englisch und beschrieb mir den Weg, jedoch standen wir dann nicht bei den Kuppelgräbern, sondern am Dorffriedhof. Nach ca. 2 Stunden gaben wir auf und entschieden uns nach Rezovo zu fahren. Es ist der letzte und äußerste Zipfel Bulgariens am schwarzen Meer und man hat einen schönen Blick auf die Türkei. Nach einem schönen Mittagessen, machten wir uns nun auf den Weg in den Dschungel. Wir waren voller Vorfreude. Der Grenzübergang liegt etwa 50 Km Landeinwerts und wir rechneten ca. mit 1,5 Tagen im Urwald. Es sollte jedoch zur Höllenfahrt werden. Wir wurden umzingelt von 1000en kleinen Fliegen, welche weniger wurden wenn man stand und wieder voll angriffen wenn man los fuhr. Dazwischen gesellten sich immer wieder lustige Pferdebremsen dazu, die einen schikanierten wo sie nur konnten. Es half auch keine lange Kleidung, da sie einfach hindurch stachen. Ich persönlich bin Gott sei Dank damit gesegnet, dass es mir irgendwie nicht viel ausmacht und ich die Stiche von Insekten nach kürzester Zeit nicht mehr spüre, jedoch war die Lisa übersät mit Stichen und Schwellungen. Dieser Terror zog sich über Stunden hin und nach zwei Ausweiskontrollen der Borderpolice, welche hier ihre Patrouille fährt, fanden wir ein sehr schönes Plätzchen im Wald. Wir kochten noch etwas Reis und gingen dann schlafen. Es war eine relativ ruhige Nacht, jedoch mit einigen komischen Geräuschen.
Am nächsten Morgen klopften die ersten Fliegen schon ans Zelt und wir versuchten uns gleich so schnell wie möglich zu vermummen. Das nächste Ziel war, raus aus dem Wald und weg von den Fliegen. Zuvor fanden wir jedoch noch ungewöhnlich große hundeartige Spuren im Sand, welche eher auf einen Wolf schließen lassen als auf einen Hund, da wir unglaublich weit im Wald waren und die Geräusche vom Vortag auch dafür sprechen könnten. Danach stellte sich alles komplizierter heraus als geplant. Erst die Fliegen, dann viel uns auf, dass die Straßen nicht mit denen des GPS übereinstimmten und wir öfter mal die Wege wieder zurück fahren mussten. Dazu der Mensch natürlich auf Nationalparks scheißt und dort wo normalerweise keiner hin kommt, Unmengen an alten Eichen geschlagen werden und reihenweise von LKWs mit Europafahnen Lackierungen heraus gefahren wurden. Nichts kann der Mensch in Ruhe lassen ohne zu versuchen daraus seinen Profit zu schlagen. Es ist echt schwierig in solchen Augenblicken sich zusammen zu reißen und sich zu denken, man muss weiter kämpfen und darf nie aufgeben, vielleicht wird es dann irgendwann besser“. Wobei ich immer mehr denke, dass der Zug abgefahren ist.
Nach einer Weile fanden wir aus den Tiefen des Waldes heraus und wir nahmen Kurs auf Malko Tarnovo an der Grenze zu der Türkei. Von den gefestigten Straßen aus, würde man echt denken, dieser Wald ist noch ein unbefleckter Teil Europas. Doch wir wissen jetzt, dass es nicht so ist.
Nach einem sehr langen Weg und knapp werdenden Wasser kamen wir am Abend endlich in der kleinen Stadt an und nahmen uns ein nettes Zimmer in einem schönen Hotel. Die Chefin jedoch, stellte sich als dermaßen unfreundlich heraus, dass es einem schlecht werden konnte. Man hatte Angst, überhaupt eine Frage zu stellen. Ihr war ihr Aussehen wichtiger als ihre Gäste. Im großen und ganzen wurden wir in Bulgarien öfters eher unfreundlich behandelt, aber entweder weil sie kein Englisch sprechen wollen oder können, oder einfach keine Ausländer mögen. Die faschistischen Vollidioten aus unserer Heimat sollten hier einmal her kommen, es fühlt sich echt nicht gut an wenn man als Fremder so behandelt wird. Also bitte, seit immer freundlich und zuvorkommend, das macht Integration um einiges einfacher. Für unseren Teil wollten wir endlich raus aus Bulgarien, wobei die Landschaft der Hammer war, und hinein in die freundliche Türkei.
Der erste Tag in der Türkei war überwältigend. So viele nette Menschen die einem den Atem verschlagen. Am Grenzeintritt wurden wir schon sehr freundlich behandelt und in der ersten Stadt (Kirklareli) nahm sich uns gleich ein junger Mann an, der uns alles Wichtige in der Stadt zeigte und wir sogar in Sicherheit bei seinem Onkel im Obstgarten zelten durften. Am nächsten Morgen kam der Gartenbeauftragte des Onkels und überfüllte uns mit frischen Obst und Gemüse. Es war ein Traum. Wir trafen uns zum Frühstück wieder mit Gokhan, der uns zu einer guten Bäckerei brachte und uns noch Bekannte von ihm vorstellte die auch Radtouren fahren. Diese kannten wiederum einen guten und günstigen Fahrradmechaniker, welcher unsere Bikes wieder auf Vordermann brachte. Es konnte nicht besser laufen und nach viel Händeschütteln, ging es weiter Richtung Vize. Wir wurden noch zum Melonenessen am Straßenrand eingeladen, ein älterer Herr blieb extra stehen und übergab mir ein Brot und so ging es den ganzen Tag dahin. Ca. 16 Km vor Vize fuhr ein roter Traktor an uns vorbei und ein netter Bauer fragte ob wir einen Schlafplatz suchen, er hätte eine gute sichere Stelle wo wir unser Lager aufbauen konnten. Nach den erlebten Eindrücken machten wir uns natürlich auch keine Gedanken darüber, dass nicht alle Türken gute Menschen sind. Wir fanden ein kleines Waldstückchen und es war der perfekte Platz für unser Zelt. Das Lager stand nach kurzer Zeit, die letzte feuchte Wäsche wurde auch noch aufgehängt und wir konnten ab jetzt den Abend genießen. Kurz vor der Dämmerung kam der rote Traktor mit dem Bauern an dem Platz vorbei und er führte 3 Dosen Bier mit sich. Natürlich lehnt man ein Geschenk nicht ab. Somit tranken wir zusammen das Bier, wobei der Bauer das Bier mehr schüttete als trank. Als er fertig war, stand er auf und machte uns klar, dass er noch ein Bier holen würde. Zurück kam er mit Käse, Melone und einer halben Flasche Wein. Es wurde eigentlich ganz lustig und wir unterhielten uns soweit die Sprache es zuließ. Wir erfuhren, dass seine Eltern in Stuttgart wohnen und er hier aber den Hof betreibt. So ging es dahin. Einige Zeit später startete er nochmals los und brachte eine Melone und Raki mit. Er schenkte ein, wobei er selber keinen trank, was mich aber nicht besonders in Alarmbereitschaft versetzte, da er ja noch Traktor fahren musste. Die Zeit verging und er wollte, dass die Lisa einmal Traktor fährt. Im Nachhinein, wissen wir nicht, was für ein Glück wir hatten, dass ich mich natürlich automatisch hinten auf den Traktor stellte und sie nicht alleine fahren ließ.
Nach einer Runde kamen wir zurück und setzten uns wieder. Zuletzt wollte er uns nochmals auf ein Bier einladen, er fuhr nochmals los, kam aber nicht mit Bier, sondern wieder mit Raki. Die Lisa schüttete das Glas immer hinter sich wenn er nicht herschaute. Sie wurde müde und ich meinte, dass sie schon mal ins Zelt gehen soll und ich versuche, dass er jetzt dann geht. Ab hier verschwimmt alles. Die Lisa war im Zelt und ich bekam plötzlich eine Ladung Pfefferspray in die Augen. Anscheinend schrie ich zur Lisa, dass er Pfefferspray hat und fing an mit ihm zu kämpfen, 3x sprühte er noch nach. Vielleicht ist mein Glück, dass ich sehr scharf esse, mir schon öfters schärfe in die Augen kam und ich somit weiß wie ich reagieren muss 🙂 Auf jeden Fall hat es ihm nicht viel gebracht. Er wollte zum Zelt und schrie „Ayse, Ayse, Sex, Sex“. Das war sein größter Fehler, jetzt klingelten alle Alarmglocken. Den Rest musste ich mir am nächsten Tag erzählen lassen. Ich wachte im Krankenhaus auf und wollte nur wissen wo die Lisa ist und ob es ihr gut geht.
Um etwa 7 Uhr kam sie mit der Polizei und unserem ganzen Zeug zum Krankenhaus. Nachdem der Krankenwagen eingetroffen ist und sie wusste, dass ich jetzt versorgt werde, packte sie noch unser ganzes Hab und Gut zusammen und schmiss es in ein Polizeiauto. In der Zeit, in der ich im Bett lag, wurde die Lisa verhört, Videos von den Straßenkameras durchgeschaut und einige Bauern mit einem roten Traktor aus ihren Häusern gezogen, bis sie den Richtigen hatten. Er wurde auch ins Krankenhaus gebracht und als ich ihn sah, wusste ich auch woher das ganze Blut auf meinem T-Shirt stammt. Sein Gesicht war ganz schön lädiert. Die Lisa kam anscheinend auch noch aus dem Zelt heraus, verbiss sich in seinem Oberschenkel und spielte Sackboxen 🙂 Nachdem er sich aus unseren Griffen befreien konnte, schaffte er es mit seinem Traktor die Flucht anzutreten. Er musste 100 Fach dafür bezahlen, für das, was er vor hatte. Wir verbrachten noch eine sehr lange Zeit bei der Polizei, mussten in einer Gegenüberstellung hinter einem Spiegel den richtigen Täter ausmachen und viel Chai mit den Polizisten trinken, die einen echt guten Job machten. Der Täter sitzt nun in U-Haft und wir müssen abwarten was mit ihm geschieht.
Seit diesem Vorfall, tingeln wir von Hotel zu Hotel, waren noch am Schwarzen Meer und sind jetzt am Marmara Meer in Silivri, 70 Km vor Istanbul. Hier können wir unsere blauen Flecken und Kratzer schön verheilen lassen 😀
Ich will nur, dass die Lisa wieder Heil Zuhause ankommt und dafür gebe ich alles.
Danach wird wieder gezeltet und auf Sparflamme gelebt 🙂

Liebste Grüße aus der Türkei